Categories:

Ich schreibe vermutlich heute ein Plädoyer an mich selbst, denn ich muss mich dringend abgrenzen und mir selbst treu bleiben, leichter gesagt als getan, daher diese Erinnerung an mich.

Es gibt unzählige Situationen im Alltäglichen, in denen ich feststelle oder erfahre, dass die Selbstwahrnehmung von mir zur Fremdwahrnehmung von anderen über mich völlig unterschiedlich sind und ich überlege, warum das zu so unterschiedlichen Bewertungen kommt. Ich kenne meine Schwächen, ich weiß meistens selbst sehr gut und sehr genau, was ich hinbekomme und was nicht so ohne weiteres für mich machbar ist.

Treppenstufen sind zum Beispiel immer eine Hürde, ein Hindernis und es ist besonders ärgerlich, wenn meine Begleitung, dann zu anderen so leichtfertig sagen, „dass ein paar Stufen kein Hindernis darstellen“ – dass überhaupt die Frage an meine Begleitung gerichtet wird und nicht an mich selbst ist schon suboptimal. Für mich ist es dann oft zum einen grosser Stress, zum anderen eine Beweis- Erbringungssituation, die unnötig wäre. Mit Geschick, Tricks und Hilfe, manchmal auch sehr fragwürdige, gelingt es mir mehrereTreppenstufen in Gebäuden zu überwinden, aber mit welchem Aufwand? Ich möchte niemals gern alle Blicke auf mich ziehen und dadurch im Mittelpunkt des Interesses stehen. Warum wird also so vorschnell für mich geantwortet und das dann noch nicht mal in meinem Sinn? Ist es die Mentalität des „gemeinsam schaffen wir alles“?, ist es vielleicht das „motivieren und zuversichtlich sein“ Denken meiner Begleiter?

Selbiges gilt ebenso für den Busverkehr mit der Möglichkeit die Rampe zu benutzen. „klar schaffen wir das!“ oder sich inmitten großer Mengen an Mitfahrenden nicht zu verlieren. Dann sagen sie „das hat doch gut geklappt!“ weil ich auf der Fahrt nicht in Ohnmacht gekippt bin, nicht zu schreien begonnen habe, nicht ausgeflippt bin. Dass ich bis aufs äußerste angespannt war, während der Fahrt alles an Kenntnissen eingesetzt habe, um bei Verstand zu bleiben sieht keiner und weiß zunächst auch keiner, denn ein anschließendes erzählen davon erzeugt eher ein „ach komm, wir haben es doch geschafft, nun freu dich mal!“ als das „das war deutlich anstrengend, ich habe gespürt oder gesehen wie du gekämpft hast, jetzt ist es vorbei, es ist überstanden, ich bin bei Dir!“ Wie viel von dem entfällt schon durch das Rollenverständnis von Schützling und Begleiter? Wie viel von dem entfällt schon, weil der Begleiter mich mit seinem gültigen Maßstab sieht und deshalb auch Sachen, die für ihn ganz normal sind auch ganz normal für mich sein müssen. Wie sehr kann ich dann noch vom Gegenteil reden ohne das lapidare „ach komm, wir schaffen das!“.

Ich gebe zu, es beeindruckt mich jedesmal eher negativ, wenn andere ihre Sicht, so wie sie denken, dass ich sie haben müsste erzählen und Gespräche mit dritten darauf hin in eine ganz andere Richtung gehen. Das Prinzip, dass zuerst meine Begleitperson angesprochen und um Auskunft gebeten wird ist ja nicht neu, wenn ich irgendwo hinkomme mit dem ipad auf dem Schoß oder mit einem vorbereiteten Notizzettel. „Haben Sie das geschrieben?“ wird die Frage ungläubig an mich gerichtet oder „hat sie das geschrieben?“ an meine Begleitung? Ja, natürlich, wer denn sonst?

Ich möchte gern über mich sagen, dass ich durchaus mutig bin und viel probiere, ich weiß aber auch, was ich schaffe und was realistisch ist. Wenn jemand erwartet, dass es doch ein klacks für mich sein müsste, alleine von a nach b zu fahren, muss ich den anderen meist enttäuschen. Dann fühle ich mich doof und unselbständig, fehlerhaft, zu ängstlich und ich fürchte hier wieder eine Extrawurst, die unnötig wäre, wenn ich nur mehr der Bewertung der anderen entspräche.

„natürlich kann sie mit dem Bus fahren“, „natürlich kommt sie zum Blutabnehmen“, „natürlich schafft sie es auf den Behandlungsstuhl“, „selbstverständlich kommt sie zum Kennenlernen vorbei“, „selbstverständlich kann sie hier mitmachen!“, „natürlich schafft sie ein paar Treppenstufen, nicht wahr Jaani?“. Ich gehe davon aus, dass nichts hiervon in böser Absicht gesagt oder gemacht wird, aber diese zweite stellvertretende Sicht ist so hinderlich und natürlich weiß auch jeder, dass es eher übergriffig ist als helfend, und dennoch scheint dieses Verhalten immer wieder so automatisch abzulaufen.

Ich muss also noch wirkungsvoller oder nachhaltiger kommunizieren und andere stoppen, sobald es wieder nach Schema F läuft? Ich darf mir nicht alle unguten Zuschreibungen persönlich ankleben, ich muss an Selbstbewusstsein weiter zulegen und mir in Erinnerung rufen, dass es vielleicht nur Muster sind, die Begleiter wählen weil sie meinen, dass es SO eben am Besten ist.

Ich weiß, dass Menschen mit Einschränkungen doppelt so viel erklären müssen und doppelt so viel unternehmen müssen, ehe sie verstanden werden oder ehe sie den selben Level an Verständnis in der Gesellschaft haben wie Menschen ohne Behinderung. Eine helfende Begleitperson sollte daher vieles dafür tun, das der Fokus auf dem Menschen mit Behinderung liegt und er für sich selbst sprechen kann und ihm seine Entscheidung geglaubt wird, die er getroffen hat mitsamt den Aussagen über Befindlichkeit und Annehmlichkeiten oder auch seine Antworten, wenn sich etwas nicht so gut anfühlt. Ohne dass all das mit einem lapidaren „natürlich machen wir das“ vom Tisch gewischt wird.

Das ist für mich mein Verständnis von Respekt und Wertschätzung, nicht das gesellschaftlich angepasste Verhalten mit dem widerspruchslosen abnicken während man freundlich lächelt und dankbar ist.

Es gibt sowohl bei mir als auch bei anderen noch einiges zu verbessern und zu erweitern.

Tags:

No responses yet

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert