Wenn eine Rollistin eine Segelreise macht….
Gleich vor weg, es war so schön, wie es wahr war und alles begann mit dem Besuch der rehacare in Düsseldorf. Ich war wie immer auf der Suche nach Sport und Freizeitmöglichkeiten an und im Wasser als mir dieser Stand ins Auge fiel, der mit Segel geschmückt sofort meine Aufmerksamkeit hatte. Du weißt vielleicht bereits, das Booten und Schiffen meine große Sympathie gilt.
Wir kamen locker ins Gespräch und nahmen Flyer und Giveaways dankbar zum Abschluss mit. Die Wassersportmöglichkeiten, die dort angeboten und organisiert wurden waren ja wunderbar zu lesen und zu hören, und davon wollte ich mich persönlich überzeugen. Ich gab eine Karte in die Gewinnspielbox und hielt mir selbst die Daumen.
Nach wenigen Wochen dann die große Überraschung, ich hatte gewonnen! Ich hatte wirklich ein Segelwochenende mit Freunden gewonnen, bei dem ich vor Ort übernachten und tags drauf, raus aufs Meer segeln würde, und das auf einem Katamaran der für Rollifahrer barrierefrei gebaut und auch zu steuern sei. Hurra!
Meine Segelcrew hatte ich dafür alsbald zusammen, so dass der Segeltörn zu Pfingsten starten konnte. Bei bestem Wetter fuhren wir mit dem Auto zunächst Richtung Binnenmeer in nordwestlicher Richtung zu den Küstengebieten der Niederlande. Die Unterkunft war wunderbar groß und geräumig. Mir kam es wie ein Eldorado für Rollifahrer vor, denn es war an alles gedacht. Breite Türen, Handgriffe in Sitzhöhe, Tische in der Küche ideal zum unterfahren und alles so organisiert, das überwiegend sitzende Menschen sehr selbstständig überall hin- und drankommen. Ich fühlte mich mit dieser Unterkunft bereits sehr wohl und auch das am Haus liegende Boot machte einen super Eindruck als wir es danach erst einmal besichtigten. Malerisch bei Abenddämmerung.

Wir lernten den begleitenden Skipper / Steuermann und die Matrosin kennen und waren alle voller Zuversicht und Vorfreude auf den Segeltag bei bestem Wetter laut der Voraussage. Wegen der wohligen Aufregung gelang der Schlaf erst zu Mitternacht.
Vor Segelbeginn gab es eine Besprechung der Segelroute, es folgte eine Sicherheitseinweisung an Bord und ein paar Daten zum Schiff. Es wurde angekündigt, dass jeder Segelgast auch mindestens einmal am großen Steuerrad auf der Steuerbrücke stehen würde und uns auf Kurs halten sollte. Natürlich mit Tipps und Hilfe des Skippers, der immer dabei sein würde, um zu helfen oder zu korrigieren, falls nötig.
Ich werde Schiffskapitän sein! freute ich mich schon und in meiner Fantasie steuerte ich das Boot bereits durch raue See und vorbei an gefährlichen Klippen und Seeungeheuern, es war wortwörtlich: fantastisch!
Die laute Schiffsglocke und das dröhnende Segelsetzen über die Seilspulen holten mich direkt aus meiner Träumerei und sorgten eine Weile für einige Unpässlichkeiten bei mir, sodass eine Erholungspause im inneren des Schiffes mit Milchkaffee und Meisel dem Reisebär erst einmal wichtiger war als den Gesprächen und Aktionen an Bord weiter zu folgen. Ich bin tatsächlich von der Sorte Mensch, denen laute und plötzliche, nicht natürliche Geräusche, sehr viel Selbstmanagement abverlangen, was nicht immer optimal gelingt.
Durch die vielen Fenster ringsum den Innenraum konnte ich aber stets alles verfolgen und sehen, wie meine Freunde, die Segel ausrichteten, die Seilkurbel bedienten, die dicken farbigen Fender (Abstands- Halter) einholten oder Vorbereitungen trafen, um dann, beim Verlassen des Kanals und Erreichen des Binnenmeeres ideal im Wind zu segeln. Ich war die Freude in Person, das kannst Du mir glauben.
Wir hatten alle viel Spaß und mussten mehr als ein Mal wahrlich Körperkraft und Armmuskelstärke beweisen, beim Wenden und Kreuzen auf See. Was für ein Abenteuer das war. Wir winkten anderen Schiffsbesatzungen zu, die an uns vorbeifuhren oder uns entgegenkamen. Wir lernten die Bedeutung der rot und grünen Bojen zu verstehen und je nach Wind das entsprechende Segel zu benutzen. Wir lernten was es heißt ein echter Seefahrer zu sein und fühlten uns großartig an Bord.

Seefahren macht hungrig und so kamen alle unter Deck und wir genossen hungrig, Suppe, Brot und Salat. Es gab eine weitere Routenbesprechung, da wir zur Pause in einer Art Bucht den Anker gesetzt hatten und so vor Kollision mit anderen Booten sicher waren und Zeit hatten, einmal Eindrücke zu besprechen und auch ausruhen konnten. Denn nach dieser Pause sollte es Reih-um gehen, mit der Kapitänsmütze sozusagen und dem Steuer in der Hand.
Eine Art Lift oder Hubkraftplattform ermöglichte es mir ganz nach oben zum Steuerrad zu gelangen und von dort eine wahrhaft grenzenlose Aussicht über das Schiff und auf das Meer zu haben. Das Steuerrad kam mir riesig vor, die Kompassnadel und andere Mess-Techniken im Steuerbord verwirrten mich zunächst, weil ich nicht sicher war, worauf ich achten musste und was für mich direkte Bedeutung für den Kurs haben würde. Es ist gar nicht so leicht ohne das Kommunikationspad dem Skipper neben mir deutlich zu machen was für Schwierigkeiten ich gerade zu lösen versuche und dafür seine Hilfe benötigen würde.
Wir segelten also beide, in dem wir gemeinsam das Rad drehten oder hielten und der Skipper mir anzeigte, wann sich ein Blick auf die Messinstrumente lohnen würde und ob der Ausschlag der Nadel „nach links“ gut oder besser „nach rechts“ zeigen sollte und ich setzte um, sofern es mir möglich war. Was ich beim Steuern nicht bedacht hatte, war, dass der Wind „hier oben“ deutlich stärker wahrgenommen wird und dass es die volle Konzentration braucht, alles im Blick zu haben und reagieren zu können. Bevor mein Körper also signalisierte „nichts geht mehr“ bat ich um einen Wechsel und wurde sodann wieder auf die normale Ebene heruntergefahren, um mich aufzuwärmen und auszuruhen.
Es liegen tatsächlich Welten zwischen meinen Kapitäns-Träumereien auf wilder See mit Seeungeheuern und hohen Wellen zu der tatsächlichen Seefahreraufgabe, aber dafür sind es ja auch Fantasien, bei denen es nicht primär um den Abgleich zum Realistischen geht.
Kurzerhand steuerten wir noch ein schickes Küstenörtchen an, was in mitten von Seestraßen und Zugbrücken lag und staunten nicht schlecht über diese Verkehrswege und das Procedere von Zugbrücken für die Schiffe und Boote, die dort zahlreich vorbei fuhren. Dieser kurze Landgang tat gut, auch wenn ich auf dem Schiff überall hin rollen und ringsum die Reeling befahren konnte. Immerhin war das jetzt die letzte Pause unseres Segeltörns, bevor es zurück zum eigenen Anleger ging wo ein Abendessen auf uns warten würde. Natürlich das Seefahrer-Leibgericht: Spaghetti mit Tomatensoße.
Auch wenn ich mehrheitlich bei vielen Tätigkeiten nur meinen Freunden dabei zuschauen konnte, wie sie mit hochgekrämpelten Ärmeln sich kraftvoll gegen den Wind stämmten der in die Segel blies, so hatten wir auf See doch alle einen wunderbaren Tag zusammen, der Gemeinschaft, Spaß und Zusammenhalt vermittelte und an dem jeder einmal das Steuer übernahm und diese Erfahrung nicht nur für mich etwas ganz Besonderes war, soviel ist sicher.
Wer also wie ich ein begeisterter Schiffe und Steuermann ist, der sei hier an dieser Stelle bitte ermutigt, sich diese wunderbare Erfahrung auch zu erschließen, denn gerade für Rollstuhlfahrer gibt es auf See wirklich so einiges zu erleben. Ich werde mich auf jeden Fall weiter auf dem Wasser vorwagen, und vielleicht begegnen wir uns unbekannterweise ja tatächlich noch im Segelboot, im Kanu oder auf dem Rolliboard. Wer weiß das schon so genau, stimmts?

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