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Als Rollstuhlfahrer und nicht mit eigener Lautsprache sprechend, erlebe ich einige Kuriositāten im Alltag, höre Bemerkungen, die für mich keinen Sinn machen, erlebe Gespräche die irgendwie in Schieflage geraten und bin manchmal einfach nur irritiert darüber, wie andere Menschen auf mich reagieren oder auch nicht reagieren und sich eilig wegdrehen bevor auch nur ein Kontakt entstehen könnte.

Kürzlich fuhr ich mit Assistenz, die mich schob, weil ich Aussagen in mein ipad tippte in die Stadt. Jemand kam uns entgegen und wünschte „gute Besserung!“ Keiner von uns beiden hatte genießt oder gehustet oder sah erkältet aus. Der Mann ging direkt weiter und wir kümmerten uns auch nicht weiter darum. Es ist gar nicht so selten, das mir jemand Gute Besserung wünscht, ohne das ein Kontext von Kranksein bestünde. Was für Dich jetzt beim lesen vielleicht nett oder aufmerksam klingt, ist für mich eher eine Irritation.

Ein anderes Beispiel ist das Gespräch mit anderen „über“ mich anstatt mit mir. Wer öfter geschoben wird kennt diese seltsamen Dynamiken vielleicht auch. Da kommen dann Fragen wie: „ist das da ihre Mutter / Tochter?“ gemeint bin ich und die Frage wird an meine Begleitung gerichtet. Das kuriose dabei ist, dass Assistenz und ich im ähnlichen Alter sind, niemals würde es altersmäßig zu Mutter / Tochter passen. Der Klassiker folgt dann natürlich mit „was hat sie denn“, bevor aufgezählt wird, was wohl die Ursache sein könnte, weswegen ich mit Rolli fahre. Es ist mir einfach unbegreiflich warum Menschen noch immer meinen, dass jeder Rollstuhlfahrer nur darauf wartet Fragenden ihre Lebens- / Unfallgeschichte zu erzählen. Warum ist hierbei gerade die natürliche Distanz nicht vorhanden? Gutgemeinter Rat, den Appell daran, nur nicht den Mut zu verlieren oder den Hinweis „man weiß nie was einem passieren wird“ sind nur einige der Gesprächsbeendigungen. Du kennst sicher noch mehr dieser Art, ich verzichte an der Stelle dies weiter aufzuzählen.

Etwas ähnliches stört mich oft sehr, nämlich dass Menschen lieber (weil in dem Moment scheinbar einfacher) mit meiner Begleitung reden, als mit mir. Sie fragen Dinge, die ich leicht beantworten kann, an meine Begleitung. Warum? Wäre ich hingegen beim Arzt oder bei Behörden und sollte biografische Angaben machen, schadet es natürlich nicht, wenn eine Begleitung auf direkte Weise für mich antwortet oder meine Angaben ergänzt, im normalen Gespräch im Alltag unterwegs, im Cafe oder bei einer Veranstaltung ziehe ich es vor, dass Leute direkt mit mir sprechen und mich auch ansprechen, wenn sie etwas wissen wollen. Mir würde nie in den Sinn kommen einen anderen Mitarbeiter beispielsweise hinzuzufordern, um die gleiche Frage eben diesem zu stellen. Vergleichsweise. Also warum ist das übergehen des Betroffenen so gängig und gilt als normal akzeptiert?

Ein weiterer Klassiker ist das “ ich finde es so toll, dass DU HIER bist, dass Du sowas machst oder ausprobierst“. – Ja, schon gut, wieso denn auch nicht? entweder folgt darauf Verlegenheit oder aber weitere „Lob und Anerkennungsbekundungen“. Und das Gegenteil davon dann im ÖPNV „gehen Sie so rein oder….. brauchen Sie Hilfe?“ oder vor Läden mit besonders hoher Stufe ohne Rampe und ohne Geländer. Dazu zähle ich auch die Antwort auf die Frage nach der Barrierefreiheit, wenn sie zunächst mit „JA, sind wir“ beantwortet wird und dann nachgeschoben, dass sich nur im Eingangsbereich 2 bis 3 “ kleine“ Stufen befinden.

Allerdings, und da muss ich selbst immer erstaunt zweimal hinschauen, gibt es ja auch Menschen die mit Rollstuhl unterwegs sind und dann plötzlich aufstehen und ein paar Schritte ganz normal gehen zum Beispiel zum Sitzplatz im Cafe, zum Strandkorb, ins Geschäft und es sind dann nicht bereits gebrechliche Senioren die mir so in den Blick geraten. Ich werde dadurch also immer wieder darauf aufmerksam gemacht, nicht in Schubladen oder zu starren Mustern zu denken. Warum jemand egal welchen Alters und welcher Statur einen Rollstuhl benutzt, kann nach wie vor unterschiedliche Gründe haben. Zu sehen dass jemand aus dem Rolli normal aufsteht und normal zu Fuß weitergeht, versetzt mich dennoch immer wieder in staunen oder Irritation.

Das die gedankliche Verknüpfung naheliegt, zu jemandem der einen talker benutzt oder mit Kommunikationssoftware spricht, dieser Mensch kann nicht sprechen und deswegen auch nicht hören, kann ich sogar noch nachvollziehen. Natürlich kann ich hören und mache das deutlich. Interessant ist aber oftmals die ausbleibende Erkenntnis, dass derjenige nicht länger besonders laut oder besonders deutlich sprechen braucht oder aber dem Begleiter nicht mitteilen muss, ob er Gebärden kann oder nicht. Er könnte einfach normal weiterreden, denn ich verstehe ihn problemlos. Eben diese Neubewertung der Situation bleibt öfter aus oder wechselt zu einem neuen Szenario wie „dann muss die Frau mit dem ipad vielleicht geistig nicht ganz auf der Höhe sein“ und es wird kindlich, niedlich oder richtet sich wieder an meine Begleitung.

Das sind natürlich nur ein paar Beispiele, die mir aber zeigen wie viel Unsicherheit, Unaufmerksamkeit, Vorurteile und Inklusionshemmnisse es noch immer in der Gesellschaft gibt, wo doch Barrierefreiheit schon nicht mehr das Problem sein sollte. Oder?

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