Was wäre eigentlich, wenn sich das „nicht laufen können“ wieder verbessert, wenn daraus vielleicht nochmal Minischritte werden würden, wenn dann womöglich einige Hilfsmittel nicht mehr gebraucht werden, wenn ich dann später sogar noch beim Stadtmarathon mitlaufen wollte? Hirngespinste und Unsinn! Mach Dir doch bitte nicht selbst sowas vor!
Was wäre eigentlich mit diesem Leben, wenn jemand mit Brief und Siegel mir versichern würde, „Jaani, am Tag x im Jahr y wirst Du wieder alle Sinne bei Dir haben und nutzen können und Deine Körpersteuerung wäre vollends wieder hergestellt und einsatzbereit“
Diese Fragen nach dem „was wäre wenn“ treiben mich um, ich versuche zu verstehen, dass ich offenbar vor einem „next-Level-Sprung“ stehe, der mir weitere Möglichkeiten bietet und der aber an sich ungewiss ist und deshalb vom Gefühl her befremdlich. Wie wird das dann sein, frage ich mich und versuche mir die Zukunft in vielen ihrer Eventualitäten schon vorzustellen und gedanklich auszukundschaften. Dass ich mir jetzt darüber Gedanken mache, ist eigentlich der beste Beweis dafür, dass sich etwas verändert und dass es an mir liegt, ob ich durch die Tür rolle oder noch eine Ehrenrunde drehe.
Es heißt, es schadet nicht Ziele zu haben, denn dann kann man auf etwas zu steuern, planvoll darauf hinarbeiten, Kräfte mobilisieren. Ziele sollen aber auch realistisch und erreichbar sein. Was sind also meine Ziele? Ich möchte natürlich weiterkommen, ich möchte selbstverständlich noch die Um-Welt sehen und erleben, ich möchte auf jeden Fall wieder schwimmen können und auch mit Freunden was erleben, ganz selbstständig. Gemessen am Jetzt wäre das plausibel und auch realistisch. Mit jedem Jahr werde ich innerlich gefestigter, meine ich sagen zu können.
Also, worauf konzentriere ich mich? Manche Hilfsmittel und Geräte brauchen eine gute Planung und häufige Einsatzmöglichkeiten, damit sie sich lohnen. Viele oder so gut wie alle Hilfsmittel sind nicht gerade günstig in der Anschaffung, auch das will bedacht sein und der Druck der dabei entsteht, dass es sich dann auch lohnen muss und nicht nur ein oder zwei mal Verwendung findet, macht es kompliziert. Wenn eine Behinderung variabel ist, sich in der Intensität verändern kann und nicht stetig gleichbleibend ist, sind solche Überlegungen eben auch von dem Gedanken betroffen „ja und wenn es vielleicht in einem Jahr (oder in naher Zukunft) besser wird oder noch mal schlechter?“ Es lässt sich schlecht planen oder voraussagen, natürlich!
Entscheidend ist, was braucht es jetzt? Habe ich alles, um jetzt so selbstbestimmt und selbstständig zu sein wie mir möglich ist? Wenn „JA“ gut, wenn „NEIN“ was braucht es weiteres. Das was ich mache, ist wie eine Bedarfsanalyse und ein SOLL-IST Abgleich, wie er überwiegend überall anders auch stattfindet. Für mich sind es aber zwei paar Schuhe, das eine Paar ist der emotionale Stand und die eigene Entwicklung hin zu Stabilität und Identität, das andere die Abbildung der Realität und ihre Möglichkeiten ganz rational betrachtet. Nicht ganz einfach, sich dadurch nicht verwirren und in Zweifel ziehen zu lassen.
Was wäre also, wenn ich mein Leben bestmöglich lebe und jeden Tag davon und darin so verbringe, wie es mir gut gefällt oder wie es möglich ist, ungeachtet von Messlatten-Marker, die ich mir einst gesetzt hatte und auch ungeachtet zahlreicher Vergleiche mit anderen, mit denen ich nur den Rollstuhl gemein habe. Ziele, Träume oder Wünsche zu haben ist gut, flexibel damit umgehen zu können aber auch. Angst vor Veränderung zu haben, scheint menschlich zu sein, ich muss mich nicht damit verstecken. Ich lebe immerhin (m)ein Leben mit für mich besonderen Herausforderungen.
Was wäre, wenn das was ich da mache also völlig in Ordnung ist, mit allem was ich eben empfinde und mit allem was ich dazu und darüber denke? Offenbar musste ich gerade dieses Selbst Plädoyer für mich abhalten, denn der Gedankenstress ist damit auch zur Ruhe gekommen.
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