Ich bin wirklich sehr gerne am Meer, wer mich kennt, der weiß das. Für mich ist das Meer soviel mehr als nur reichlich Wasser in Bewegung. Es ist ein Sehnsuchtsort, ein Weltteil voller Leben und Energie. Es wirkt auf mich freudig aktivierend und tröstend zugleich. Wenn ich am Meer bin, bin ich in meinem zweiten „zuhause“. Ganz gleich an welches Land das Meer andockt oder wie es sich hier nennt.
Im Herbst bin ich gern am Meer, ich möchte wie im Sommer hineinfahren, schwimmen, tauchen, untergehen und wieder empor kommen. Ich mag das Geräusch der Wellen, wenn sie an den Strand rollen, ich mag das stürmische Brausen und die Gezeiten mag ich auch. Oft ist im Herbst an der Nordseeküste kein Badewetter mehr, die Pavillons, die Strandhäuschen und -Körbe werden meist schon ins Winterquartier gebracht und manche Wege, die im Sand verlegt sind werden abgeräumt. Mir bleibt die Strandpromenade.
Ich mag die geteerten und gepflasterten breiten Wege oberhalb des Strands sehr wegen ihrer Aussicht, wegen ihrer Bänke, wegen der oft angrenzenden Cafes. Ich mag diese Wege, weil sie mich immerhin so nah wie möglich ans Meer bringen. So wie auf Norderney, auf Borkum, an der niederländischen Küste bei Zoutelande und Vlissingen. So denkt der Erwachsene von Jaani.
Der Spaß und die Lebendigkeit ist weiter unten, natürlich am Strand. Muscheln suchen, Quallen untersuchen, Krebse beobachten, die Bewegungen des Sands erfühlen, Gräben ausheben, kleine Burgen aus Sandmatsch anhäufen und mit Federn und Holzstöckchen dekorieren oder Worte in den festen Sand schreiben, mit dem Hund um die Wette laufen, mit Gummistiefeln oder nackten Füßen bei hochgekrempelter Hose, den Wellen entgegenlaufen um dann vor einer großen kräftigen, eiligst wieder zu fliehen. Spaß ist das. Spaß bedeutet, laut zu sein, zu lachen, zu quiken und in die Hände zu klatschen, mit Wasser zu spritzen und all das.
Im Herbst macht der stürmische Wind auch große Lust am Strand Drachen steigen zu lassen, die Menschen auf der Promenade bleiben dafür gern ein paar Minuten stehen, um sich die wilden Sturzflüge oder Loopings der Drachentiere und anderer Windvögel anzuschauen. Ich verfolge dies natürlich auch von hier oben auf den Wegen für Spaziergänger oder Radfahrer und versuche diese vielen konträren inneren Empfindungen wieder in Einklang zu bringen oder zu beruhigen.


Promenadenwege sind offenbar ein Kompromiss für Menschen die gern am Meer sind aber nicht unbedingt am Meer durch Sand laufen wollen, vielleicht sind sie auch ein Kompromiss für die Leute, die wegen Krankheit oder anderem nicht mehr bis ans Meer kommen und sich mit den Wegen „weiter oben“ zufrieden geben. Ich bin dem gegenüber höchst ambivalent. Natürlich schätze ich Promenadenwege zum spazieren, die Weite genießen, wegen des Ausblicks bis zum Horizont und um sich dem Rhythmus von Wellen und Himmel anzugleichen, aber mal ehrlich, „vernünftige, erwachsene“ Gedanken und Konzepte sind bei Jaani eher in der Minderheit.
Welches Kind findet Argumente wie „von hier oben kann man alles so schön sehen“, “ hier oben bleiben Schuh und Hose trocken und sauber“, “ ach, man kann hier so schön laufen, sieh doch nur“ vernünftig und lässt den Strand deswegen unbeachtet? Keins, stimmts? Es fällt mir sehr schwer mich damit zu arrangieren. Und es macht mich wütend, wenn Fußgänger mir sagen „ein Ideal gibt es nicht immer, sei doch zufrieden mit dem was da ist!“
Nicht immer gibt es entsprechende Aufgänge oder befahrbare Wege von der Promenade zum Strand, nicht immer sieht man sofort, wo welcher Rolli-taugliche Zugang ist und wo man eventuell wieder vom Strand auf den Weg zurück kommt. Ja natürlich gibt es Beschilderungen und Infotafeln mit entsprechendem Rollifahrer Symbol, aber das bezieht sich ja eher auf die WCs oder Restaurants, nicht aber ob man auch an den Strand kommt. Ich verstehe bei all dem nicht, warum das Denken dort nicht weitergeht in Sachen Planung.
Wieso meint man, dass nur Fußgänger und Hunde den Strand nutzen wollen, nicht aber Menschen mit Gangstörung, Rollstuhl und anderen Einschränkungen. Wieso gibt es nicht wenigstens ganzjährig einen Rollstuhlfahrer Strandabschnitt, genauso wie es für Hunde den eigenen Strandabschnitt gibt und auch für Freikörperkulturliebhaber? Warum kann nicht wenigstens an den meisten, wenn nicht schon jedem Strand an der Nordsee, an der Ostsee ganzjährig ein Weg am Strand liegen, der immerhin so weit befahrbar ist, quer wie längs, das man sich auf dem Sand – Strandabschnitt befindet und nicht mehr auf der Promenade? Das letzte Stück zum Wasser könnte viel leichter mit Strandrollis überbrückt werden, die man nicht mühsam erst durch den tiefen Sand schieben oder ziehen muss.
Ich wollte mit meinem Rollstuhl sehr gern am Strand fahren, ich wollte sehr gern vom Sand aus den Drachen in die Luft bringen, ich wollte sehr gern am Strand mit meinen Beinen und nackten Füßen im Sand stehen und die Verbindung mit der Natur fühlen und ich wollte sehr gern im Sand krabbeln um mir selbst Muscheln und Quallen anzuschauen, Burgen zu bauen oder Krebse zu beobachten, anstatt nur anderen dabei zu zu sehen oder meine Begleiter mit dem ipad los zu schicken, damit sie mir Fotos vom Strand und der Wasserkante machen, so dass ich sehen kann was da alles liegt.
Es ist für mich völlig unbegreiflich, warum bei erwachsenen Menschen mit Behinderung angenommen wird, dass sie einfach deshalb kein solches Interesse am Strand in unmittelbarer Nähe haben würden, weil sie akzeptiert hätten, dass sie dort eh nicht bis zum Wasser kommen, dafür bleibt ihnen ja schließlich auch die Promenade! Das Meer und der Strand ist für Menschen aber zu fast jeder Jahreszeit etwas sehr schönes. Da will ich mal wissen, wie die Leute reagierten, wenn man ihnen sagen würde: „Laufen Sie im Herbst, Winter und Frühling bitte auf der Promenade, von dort haben Sie eine tolle Aussicht, Sie sind auch hier ganz nah am Strand und können das Meer bestimmt auch von hieraus schätzen! Der Strand ist für Sie leider nicht zugänglich, sagen sie das auch ihrem Hund und ihren Kindern. Wir wünschen Ihnen einen schönen Spaziergang auf den gut ausgebauten Promenadenwegen“.
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